Sprache der Geometrie 2
Hans Ch. Von Tavel
Der Begriff „Geometrie“ im Zusammenhang mit der Kunst bedarf der Erläuterung und Klärung. Die Bezeichnung „geometrische Kunst“ wird nicht gebraucht. Man spricht lieber von „konstruktiver“ oder „konkreter“ Kunst.
Jedes Kunstwerk ist, sobald man es mit einer anderen Realität als des seinigen in Verbindung bringt, eine „Abstraktion“, eine Ableitung von einem Sachverhalt. Der Begriff der eigenen Realität des Kunstwerks hat dann schon früh zur Bezeichnung der „konkreten“ Kunst geführt, mit der man die eigene und von jedem in der sichtbaren Welt vorgegebenen Motiv unabhängige Existenz des Kunstwerks zum Ausdruck bringt.
Der Aspekt des Unendlichen ist in aller Kunst deutlich sichtbar. Er führte, nachdem die Kunst in den Naturalismus überging, zur linear Perspektive. Die Impressionisten gelangten in grenzlose Atmosphäre durch malerische Auflösung, dann folgte die formale Auflösung als Abstraktion und Befreiung von der sichtbaren Natur und führte zu konkreten Gestaltungen mit Eigenexistenz.
Zu den wichtigsten Apologeten der Geometrie in der Kunst gehört interessanterweise Fernand Léger. Er geht so weit, zu erklären, dass der moderne Mensch mehr und mehr in einer überwiegend geometrisch bestimmten Ordnung lebe. Le Cobusier und Ozenfant hatten in ihrem Buch „Après le Cubisme“ den technischen Fortschritt hoffnungsvoll begrüsst und riefen aus: „Die Ordnung herrscht, da nicht der Phantasie überlassen ist.
Léger erkennt die Gesetze der Geometrie als Wurzelgrund der Ästhetik: die ganze Architektur der Alten wie auch die moderne folge geometrischen Absichten. Durch ihren visuellen und psychologischen Einfluss dringe die geometrische Form in alle Lebensbereiche ein und übertreffe an Bedeutung sogar der Natur. So ist auch heute die „Sprache der Geometrie“ ein künstlerisches Mittel, Unsichtbares sichtbar zu machen. Dem Streben nach“Entmystifizierung“ antwortet die Geometrie als Trägerin eines Mysterium.